Von Markus Becker
Johanna Fantova gilt als Einsteins letzte Freundin. Jetzt wurde in den USA ihr Tagebuch entdeckt - Jahrezehntelang lag es in ihrer Personalakte. Das teils tiefsinnige, teils amüsante Dokument, das SPIEGEL ONLINE in ungekürzter Fassung vorliegt, zeigt Einstein als liebenswerten Eigenbrötler und politisch engagierten Zeitgenossen.
Sie war regelmäßig zu Gast in seinem Haus, bekam Briefe und Gedichte von ihm und durfte sogar die Schere an seine graue Strubbelmähne legen: Johanna Fantova galt im amerikanischen Princeton, der Wahlheimat Einsteins, als letzte Freundin des Forschergenies. Die beiden trafen sich regelmäßig, plauderten mehrmals pro Woche am Telefon und gingen miteinander segeln.
Nun wurde bekannt, was offenbar nicht einmal Einstein wusste: Fantova fertigte Notizen über den Inhalt ihrer Gespräche mit dem Wissenschaftler an - um sie durch ihre Veröffentlichung der Nachwelt zu erhalten, wie es in der Einleitung heißt, und um Licht auf Einstein zu werfen - "nicht auf den großen Mann, der zu Lebzeiten zur Legende wurde, nicht auf Einstein, den großen Wissenschaftler, sondern auf Einstein, den Menschenfreund". Entgegen ihrer Ankündigung hat Fantova, die 1981 mit 80 Jahren in Princeton starb, die Aufzeichnungen nie publiziert. Sie wurden erst vor wenigen Wochen in ihrer Personalakte in der Firestone Library der Princeton University gefunden, wo Fantova lange Jahre tätig war.
"Politisch bin ich ein Feuer speiender Vesuv"
Die Nachwelt dürfte ihr dankbar sein, denn ohne die Notizen wüsste die Welt heute nichts von Bibo, dem schwermütigen Papagei, oder einer ganzen Reihe tiefsinniger, frecher und spaßiger Zitate Einsteins. "Es ist bisher das einzige bekannte Tagebuch einer Person, die eine enge Beziehung zu Einstein während seiner letzten Jahre unterhielt", schreibt Alice Calaprice, eine frühere Mitarbeiterin der Firestone Library, in einem Artikel für die Bibliothekszeitschrift. Armin Hermann, einer der führenden deutschen Einstein-Biographen, stellte das Dokument auf eine Stufe mit Eckermanns Gesprächen mit Goethe: "Das Manuskript ist mit Sicherheit authentisch und erfasst das Wesentliche an Einstein."
Als 1919 die Relativitätstheorie bewiesen wurde, indem Forscher bei einer Sonnenfinsternis die Krümmung des Lichts durch Schwerkraft beobachteten, hatte Einstein nicht nur die moderne Physik auf den Kopf gestellt, sondern der Welt auch völlig neue philosophische Impulse gegeben. Politisch und menschlich wurde der Wissenschaftler allerdings oft als entwurzelter und realitätsferner Einzelgänger dargestellt.
Die Notizen Fantovas zeichnen dagegen ein anderes Bild. "Man kann nicht sagen, die Politik ging einen nichts an, weil sie sich auf unserem Rücken abspielt", betonte Einstein. "Ich bin ein alter Revolutionär, wie Du immer sagst. Politisch bin ich noch immer ein Feuer speiender Vesuv."
Das waren keine leeren Worte: Einstein übte scharfe Kritik sowohl an der nuklearen Aufrüstung der USA ("herausgeschmissenes Geld") als auch an der antikommunistischen Hetzjagd des US-Senators Joseph McCarthy, der in den frühen fünfziger Jahren Tausende tatsächlicher und vermeintlicher Kommunisten in den Ruin, ins Exil oder in den Selbstmord trieb. "Die Herrschaft der Dummen ist unüberwindlich, weil es so viele sind und ihre Stimmen genauso zählen wie unsere", sagte Einstein zu Fantova über die Bewunderer McCarthys.
"Es gibt niemanden, der mich verletzen kann"
Mit Einsteins Freund Robert Oppenheimer, der zwischen 1943 und 1945 die Entwicklung der ersten Atombombe leitete, hatte McCarthy ein prominentes Opfer gefunden. Als Oppenheimer 1954 zu einem Sicherheitsrisiko erklärt wurde und den Zugang zu Staatsgeheimnissen verlor, machte Einstein gegenüber Fantova seiner Verbitterung Luft. Er verglich die politische Lage in den USA mit einer "Hexenjagd" und gab der amerikanischen Atomenergie-Kommission einen neuen Namen: "Atomic Extermination Conspiracy". Das Gerücht, McCarthys eigene Kommission sei von Kommunisten unterwandert, veranlasste Einstein zu einem Vergleich mit der französischen Revolution: "Wer zuerst den anderen hängt, gewinnt."
Der Wissenschaftler kokettierte gegenüber Fantova mit seiner Außenseiterrolle und bemerkte, dass er - im Gegensatz zu Oppenheimer - eine gewisse "Narrenfreiheit" genieße. "Am besten ist heute, wenn man ehrlich subversiv ist", meinte Einstein, der bei solchen Gelegenheiten gern auf sein wohl berühmtestes Foto anspielte: "Die ausgestreckte Zunge gibt meine politischen Anschauungen wieder."
Entsprechend wenig Verständnis brachte Einstein dafür auf, dass Oppenheimer seine Ausbootung als persönliche Niederlage begriff, anstatt "nicht schon längst hingeschmissen" zu haben. "Oppenheimer ist kein Zigeuner wie ich, ich bin mit einer Elefantenhaut geboren", schloss Einstein. "Es gibt niemanden, der mich verletzen kann, es fließt an mir ab wie Wasser am Krokodil."
Weniger unbeeindruckt blieb er allerdings vom Gezerre an seinem Arbeitsplatz, dem Institute for Advanced Studies, das sich nicht auf eine gemeinsame Erklärung zugunsten Oppenheimers einigen konnte: "Es war abscheulich, Menschen sind eine schlechte Erfindung."
Gegenüber Deutschland, das er 1933 für immer verließ, war Einstein bis zu seinem Tod im April 1955 negativ eingestellt. Jede Funktion im öffentlichen Leben Deutschlands lehnte er wegen der Verbrechen der Nazis kategorisch ab. Auch für die massiven Wirtschaftshilfen der USA und die Wiederbewaffnung hatte er keinerlei Verständnis: "Alle die schrecklichen Sachen, die die Deutschen gemacht haben, sind vergessen", kritisierte der Wissenschaftler. "Anstatt sich mit Russland zu einigen, hilft man Deutschland aufrüsten."
"Als Einstein noch in Deutschland lebte, hatte er eine phantastische politische Urteilskraft", kommentiert Armin Hermann, emeritierter Professor für Naturwissenschafts-Geschichte an der Uni Stuttgart, im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Er hatte die Nazis früh durchschaut und 1934 seine pazifistische Grundhaltung revidiert, weil er eine tödliche Gefahr für die westlichen Demokratien herannahen sah." Nach seiner Emigration aber habe der Wissenschaftler sein zuvor sicheres Gespür für politische Entwicklungen verloren, da ihm der Kontakt zur Alten Welt abhanden gekommen sei.
Entsprechend äußerte sich Einstein gegenüber Fantova: In einem wiederbewaffneten Deutschland sah er, ebenso wie in der deutsch-französischen Einigung über den Status des Saarlands, eine "große Kriegsgefahr". "Natürlich will Deutschland alle verlorenen Gebiete wiederhaben", argwöhnte Einstein. Den deutschen Physik-Nobelpreisträger Werner Heisenberg, der im Oktober 1954 in Princeton zu Besuch kam, bezeichnete Einstein anschließend als "großen Nazi", der zwar ein "großer Physiker, aber kein angenehmer Mensch" sei.
"Sie war ein Teil der alten Welt"
Dennoch vermisste Einstein das Europa der Vorkriegszeit, wie sein früherer Freund Gillet Griffin gegenüber der "New York Times" bemerkte. Die 22 Jahre jüngere Johanna Fantova, die 1939 auf Einladung Einsteins in die USA auswanderte, habe deshalb im Leben des Wissenschaftlers eine wichtige Rolle gespielt. "Sie war immer da", sagte der ehemalige Kurator des Kunstmuseums in Princeton.
Die Eltern ihres Ehemannes Otto Fanta waren um 1911 die Gastgeber eines berühmten Salons, zu dessen Gästen neben Einstein Schriftsteller und Philosophen wie Franz Kafka und Max Brod gehörten. Fantova war laut Griffin für Einstein, der sich in Princeton nie heimisch gefühlt habe, "ein Teil der alten Welt". "Sie las ihm aus Goethes Werken vor. Sie war eine Verbindung zu Dingen, die er vermisste."
Abseits von politischen Gedanken erscheint Einstein in Fantovas Manuskript als schrulliger Eigenbrötler, der zugleich ein Menschenfreund war, vielen Bittstellern aus persönlichen Notlagen half und dennoch arrogant sein konnte. "Ich bin ein Magnet für alle Verrückten, und sie interessieren mich auch. Nachzukonstruieren wie sie gedacht haben, das ist eine Liebhaberei von mir. Diese Menschen tun mir in der Seele leid, das ist auch der Grund, warum ich da zu helfen versuche."
Spott aus der Distanz
Einstein überwand offenbar nie ein gewisses Gefühl der Isolation gegenüber seinen Mitmenschen. Angesichts seiner eigenen, wenig erfolgreichen Bilanz bei stabilen Beziehungen kommentierte er ähnliche Versuche seiner Zeitgenossen mit spöttischer Distanz: "Ich war bei einem Nachbarn, es besteht die Gefahr, dass ihr Sohn heiratet. Übers Heiraten sagte ich zu ihnen: "Es ist ein unglückseliger Versuch, aus einem
Ereignis einen Zustand zu machen."
ührend kümmerte er sich dagegen um sein deprimiertes Haustier: "Der Papagei ist noch ganz verschüchtert, er kam mit der Post." Einstein, diesmal ganz ein Mann der Praxis, schritt zur Tat - wenn ihm auch der Erfolg versagt blieb: "Das Vogerl ist traurig, ich versuche es aufzuheitern, aber es versteht leider meine Witze nicht."
Einstein betonte gegenüber Fantova auch seine Distanz zum traditionellen Glauben: "Respekt vor dem lieben Gott muss man haben - auch wenn es keinen gibt." Was freilich nicht bedeutete, dass Einstein jegliche Religiosität fremd war. Als er 1921 vom New Yorker Rabbi Herbert Goldstein gefragt wurde, ob er an Gott glaube, antwortete er: "Ich glaube an Spinozas Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart, nicht an einen Gott, der sich mit den Schicksalen und Handlungen der Menschen abgibt."
In der Forschergemeinde war Einstein in den fünfziger Jahren längst zum Außenseiter geworden. Seine Spezielle Relativitätstheorie war 50 Jahre alt, und seine beharrliche Arbeit an der "Einheitlichen Feldtheorie von Gravitation und Elektrodynamik" rief eher Verwunderung unter Kollegen hervor. "Die Physiker sagen, dass ich ein Mathematiker bin und die Mathematiker sagen, dass ich ein Physiker bin", klagte Einstein gegenüber Fantova. "Ich bin ein ganz isolierter Mensch, obwohl mich jeder kennt. Aber es sind doch so wenige, die mich wirklich kennen."
Wirklichen Trost fand der Wissenschaftler anscheinend allein in seinen Formeln: "Das Ringen mit den Problemen macht von der menschlichen Sphäre unabhängig, und das ist eine unschätzbare Gnade." Die Erfolglosigkeit seiner späten Bemühungen gesteht Einstein freimütig ein - und relativiert zugleich die Bedeutung seiner früheren Leistungen. "Was immer auch die Menschen bis heute erfunden haben, ist lächerlich im Vergleich mit dem Leben eines Käfers."
Orginal:
www.spiegel.de